Das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVerwG) hat am 30. November 2011 entschieden, dass die Verrichtung eines islamischen Gebets außerhalb der Unterrichtszeit grundsätzlich erlaubt ist, diese aber im vorliegenden Fall hinter der Wahrung des Schulfriedens zurücktreten muss (Aktenzeichen: BVerwG 6 C 20.10).
Sachverhalt
Der Kläger, Schüler eines Gymnasiums in Berlin, verrichtete im November 2007 in der Pause auf dem Flur der Schule ein Gebet nach islamischen Ritus. Die Schulleiterin untersagte diese religiöse Bekundung. Der Kläger erhob daraufhin eine allgemeine Feststellungsklage, gemäß § 43 Abs. 1 VwGO, mit dem Begehren, festzustellen, dass er berechtigt sei, während des Besuchs der Schule außerhalb der Unterrichtszeit einmal täglich sein Gebet zu verrichten. Die zulässige Klage wurde vom Verwaltungsgericht Berlin (AZ: VG 3 A 984.07) und später vom Berufungsgericht, dem Oberverwaltungsgericht Berlin- Brandenburg (AZ: OVG 3 B 29.09) als unbegründet abgewiesen.
Die Entscheidung
Der Kläger machte sein Grundrecht auf Glaubensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG geltend. Demnach hat Jedermann das Recht, seinen Glauben zu bilden, zu haben und auch zu bekunden und zu äußern (sog. Religionsausübungsfreiheit). Im vorliegenden Fall verrichtete der Kläger ein rituelles Pflichtgebet, welches zu festgelegten Zeiten durchgeführt werden muss. Dieses islamische Pflichtgebet ist vom Schutzbereich der Glaubensfreiheit erfasst.
Die Glaubensfreiheit des Klägers wird auch nicht durch Grundrechte Dritter eingeschränkt, so zum Beispiel der negativen Glaubensfreiheit der Mitschüler, wonach diese die Freiheit haben, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Dies liegt an der Möglichkeit, dem Gebet des Klägers durch andere Wege durch das Schulgebäude auszuweichen. Aus denselben Gründen beschränkt auch nicht das Recht der Eltern an der weltanschaulichen und religiösen Erziehung ihrer Kinder (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, Art. 4 Abs. 1 GG) die Glaubensfreiheit des Klägers.
Weiterhin ist das Grundrecht auf Glaubensfreiheit des Klägers auch nicht durch das verfassungsrechtliche Gebot der religiösen Neutralität eingeschränkt, da die Zulassung der Verrichtung von islamischen Gebeten auf dem Schulflur keine einseitige Bevorzugung oder Beeinflussung des Glaubens durch den Staat darstellt.
Jedoch findet die freie Religionsausübung des Klägers eine Einschränkung in dem staatlichen Gebot, den Schulfrieden zu wahren, welches sich aus Art. 7 Abs. 1 GG ergibt. Die Wahrung des Schulfriedens ist unverzichtbar, um den ordnungsgemäßen Unterrichtsablauf zu ermöglichen und stellt einen Gemeinschaftswert mit Verfassungsrang dar.
Auf dem fraglichen Gymnasium sind unter den Schülern eine Vielzahl von Religionen und Glaubensrichtungen vertreten. Aufgrund dieser Zusammensetzung ist es in der Vergangenheit vermehrt zu heftigen (religiös motivierten) Konflikten zwischen den Schülern gekommen. Somit besteht eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden, den der Kläger durch die Verrichtung seines Gebets zumindest weiter verschärft.
Fazit
Das Urteil zeigt die große Spannung an deutschen Schulen bezüglich der Ausübung der Religionsfreiheit. Im vorliegenden Fall wurde dem Kläger das Recht zugesprochen, sein Gebet außerhalb der Unterrichtszeit zu verrichten, aber nur solange dies nicht die Wahrung des Schulfriedens gefährdet.
Im vorliegenden Fall ist dies unter Umständen durch die Zuweisung eines separaten Raums innerhalb des Schulgebäudes zum Zwecke von Gebeten möglich.